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Nachhaltiger Tourismus auf den Kapverden – ein Interview

Serra-malgueta

Sibylle und Gerhard Schellmann praktizieren nachhaltigen Tourismus. Vor allem versuchen die beiden Veranstalter, auch der einheimischen Bevölkerung durch die Touren zu helfen. Warum sie das tun und wie auch die Urlauber davon profitieren, erklären die Betreiber des deutschen Veranstalters www.reisetraeume.de im Interview mit Abenteuer zum Nachmachen.

 Die Erde wird kleiner. Vor allem für Touristen, die Länder wie die Türkei, Tunesien oder Ägypten aus sicherheitsrelevanten Gründen meiden, aber dennoch dem europäischen Winter entfliehen wollen. Vor allem Outdoor-Fans sind auf der Suche nach reizvollen Wander- oder Mountainbiking-Zielen, für die keine Fernreise nötig ist. Eine Alternative zu den gut gebuchten Kanaren sind die Kapverden.

 

Interview

Eigentlich ist es erstaunlich, dass die Kapverden nach den politischen Problemen in etlichen klassischen Mittelstreckenländern nicht längst überlaufen sind. Oder streckt der große Tourismus längst schon seine Fühler nach den Kapverden aus?

Sibylle Schellmann Kapverden Reiseveranstalter Reiseträume
Sibylle Schellmann

Sibylle Schellmann: Wie man an den All-Inklusive-Anlagen auf den Badeinseln, an den vielen Apartmentanlagen, die gerade auf der Insel Sal im Bau sind, sehen kann, ist der große Tourismus schon längst auf den Badeinseln der Kapverden angekommen. 20 Prozent der Urlauber kommen aus England, knapp zwölf Prozent aus Frankreich, die Deutschen, Niederländer und Portugiesen machen jeweils gut 14 Prozent aus. Auffällig ist, dass neun von zehn deutschen Urlauber auf den Badeinseln Sal und Boavista bleiben.

 

 

Warum sind für Sie persönlich die Kapverden attraktiver sind als die näher gelegenen Kanaren?

Schellmann: Schon während unserer ersten zwei Urlaube an Ostern sowie im Dezember 1999 haben wir uns in Land und Leute verliebt. Kapverden ist einfach Afrika. Es ist exotisch, lebendig und trotzdem herrlich ruhig in den Bergen auf den Wanderungen. Aber auch an den kleinen Stränden gibt es genügend Platz rund ums Handtuch. Bisweilen wirkt manches ein bisschen unorganisiert, und ein bisschen chaotisch, aber dafür ist alles lebendig, farbig, bunt und absolut liebens- und lebenswert.

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 Welche ist Ihre persönliche Lieblingsinsel? Und warum gerade diese?

Schellmann: Unsere Favoriten sind Fogo mit dem Vulkan Pico de Fogo, Santo Antao mit seinen „alpinen“ Touren und Santiago, die bevölkerungsreichste und vielfältigste Insel, wo die Geschichte der Kapverden begann.

Mountainbiken ist auf den Inseln noch immer ein Geheimtipp. Dabei sind die Strecken, meist Eselspfade, die auch auf Youtube-Videos zu sehen sind, durchaus anspruchsvoll. Gibt es auch einfachere Trails, die für weniger erfahrene Mountainbiker geeignet sind?

 Schellmann: Wer auf den Kapverden Mountainbiken will, muss ein eigenes Mountainbike, inklusive eventuell notwendiger Ersatzteile sowie eigenes Mechanikerwissen mitbringen. Auf unserer Heimatinsel Santiago sind die schönsten Wanderungen meist ungeeignet für MTB-Touren, oft sind nur Teilstrecken für unerfahrene MTB’er wirklich geeignet. Darum bieten wir individuelle Wandertouren, aber keine MTB-Touren an.

Interessant ist bei Ihren Reisen, dass Sie sehr großen Wert auf den Nachhaltigkeitsfaktor legen. Wie muss man sich das konkret vorstellen, wenn Sie eine Tour planen?

Schellmann: Sinnvollerweise sollte die Fortbewegung kapverdisch erfolgen, also mit Sammeltaxis („Collectivo“) , Minibus, Pickup oder Klein-LKW. Das ist auch das normale Fortbewegungsmittel für die übergroße Mehrheit der Kapverder. Unseren Kunden empfehlen wir einen lokalen Führer für ihre Wanderungen. Das garantiert deren Sicherheit und ermöglicht den direkten und respektvollen Umgang mit der Bevölkerung. Ein lokaler Guide kann auch gut die endemischen Pflanzen erklären. Entscheidend ist für uns aber auch, dass solche eine Tour es dem Guide ermöglicht, für den Lebensunterhalt seiner Familie zu sorgen.


Kurzportrait der Kapverden:

Was sind die Kapverden? Neun bewohnbare Inseln vor der Westküste Afrikas.

Liegen die bei den Kanaren? Naja, fast – nur gute eineinhalb Stunden weiter von dort aus in Richtung Süden.

Wie lange fliege ich hin? Von München aus sechseinhalb Stunden.

Welche Religion? 80 Prozent sind katholisch, 10 Prozent evangelisch.

Wie ist die Natur? Sattgrün die Berge, schroff die steilen Felswände ins Meer.

Und das Klima? Die Durchschnittstemperaturen liegen bei 25 Grad, die beste Reisezeit beginnt mit dem europäischen Winter – also von November bis ins späte Frühjahr. Ab Juli wird es heiß.


 Große Hotels meiden Sie?

Schellmann: Wie bevorzugen einheimische, möglichst vom Besitzer geführte Unterkünfte. Der Grund ist, dass damit das Geld der Urlauber im Land bleibt und der einheimischen Bevölkerung zugutekommt.

Interessieren sich für Ihre nachhaltigen Touren vor allem Einzelreisende und Paare oder versuchen auch manche Eltern inzwischen, ihren Kindern diese andere Art von Tourismus nahezubringen?

 Schellmann: Die Kapverden sind ideal für Familien, die ihren Kindern mehr als nur einen Hotelaufenthalt bieten wollen und sie anregen wollen, sich auch mit fremden Kulturen auseinanderzusetzen. Wir erleben immer wieder, dass gerade die jungen Leute hier sehr offen und neugierig sind auf Touristen, so können sie ebenfalls ihr Englisch oder Französisch anwenden. Für Familien ist es normalerweise eine große Bereicherung, hierher zu kommen. Wir haben auch schon erlebt, dass sich gerade Familien sehr mit den Themen Entwicklungshilfe oder auch Müllentsorgung und die Umwelt beschäftigt haben. Denn Umweltschutz ist bisher noch kein großes Thema auf den Kapverden.

Bei den Wander-Touren bieten Sie an, in Privathäusern bei den Einheimischen zu wohnen. Wie muss man sich das räumlich vorstellen?

 Schellmann: Bei Privathäusern, Casa Familar, sieht es folgendermaßen aus: Sie wohnen im Haus der Familie, immer in einem eigenen Zimmer. Es handelt sich hier immer um Privathäuser in denen bis zu fünf Zimmer zur Verfügung stehen. Je nach Unterkunft hat das Haus mehr den Charakter einer Pension, die Zimmer sind getrennt von denen der Familie und verfügen über eigene oder Gemeinschaftsbäder nur für die Touristen. Auf der „Trekkingtour Santiago“ (Nahe bei den Menschen)  sind es einfache Zimmer, mitten in der oft kinderreichen Familie. Die Urlauber teilen sich das Bad/WC mit allen Familienmitgliedern und erleben auf diese Weise, wie die Menschen auf dem Land wohnen. Es gibt in der Regel kein Fließwasser. Generell nehmen Sie das Frühstück und das Abendessen in der Familie ein und es wird meist im Wohnzimmer aufgetischt.

 Kocht die Familie für die Gäste, isst man zusammen, verbringt den Abend gemeinsam – oder entspricht der Kontakt mehr dem in einer Pension oder einem kleinen Hotel?

 Schellmann: Es wird nach Absprache für die Gäste gekocht. Die Kapverder sind von Hause aus eher zurückhaltend. Wie Sie den Abend verbringen hängt von Ihrer Initiative, ihren Portugiesisch-Kenntnissen und ihrem Guide, der übersetzt, ab. Je nachdem, wie offen die Gäste auf die Familie und die Kinder zugehen, ergeben sich Spieleabende. Gut ist es, selbst Spiele wie Uno oder Memory mitzubringen. Auf alle Fälle werden Sie gerne ins Familienleben mit einbezogen. Wenn Sie mehr Distanz wünschen, sollten Sie in einer „richtigen“ Pension übernachten.

Die Verständigung funktioniert über einen englischsprachigen Übersetzer und Guide. Ist Englisch auf den Kapverden so wenig verbreitet?

 Schellmann: Das romanische Portugiesisch ist die erste Fremdsprache, welche die meisten Kapverder mehr oder minder beherrschen. Zuhause in der Familie wird nur Kriolou, also eine Mischung von Portugiesisch mit vielen Worten aus den ursprünglichen afrikanischen Stammesdialekten gesprochen.

Sie lehnen All-Inklusive-Anlagen ab. Welche Gründe dafür gibt es? Abgesehen davon, dass Wander- und Outdoor-Gäste daran wohl ohnehin keine rechte Freude hätten.

Schellmann: AI-Anlagen werden in aller Regel von internationalen Konzernen gebaut und betrieben. Das Geld bleibt nicht im Land, die einheimische Bevölkerung und Betriebe erhalten meist nur Brosamen. Das ist kein Konzept für eine nachhaltige Entwicklung. Wir möchten unseren Gästen und den Inselbewohnern eine bessere Alternative aufzeigen.

Sie fördern die für die Insel Santiago typische Musiktradition wie den Batuko, eine Tanzveranstaltung mit afrikanischem Gepräge, an der nur Frauen beteiligt sind. Es muss doch unendlich schwer sein zu verhindern, dass aus den Aufführungen banale Touristenshows werden…

Schellmann: Entgegen der Behauptung mancher Reiseführer ist Batuko auf Santiago keine Folkloreveranstaltung für Touristen, sondern lebendige Tradition, die sich weiterentwickelt.  Organisiert von unserer „Comadre“ Adeli singen  in dem Weiler Fundo die Frauen und Mädchen der umliegenden Häuser verschieden Batukos. Die Begeisterung der Mitwirkenden hat bisher noch jeden Touristen angesteckt.

Abschließend bitte noch ein Tipp: Wie würden Sie als Kapverden-Neuling den ersten Tag verbringen, um auch gefühlsmäßig auf den Inseln anzukommen?

Schellmann: Unser Tipp bei einem Langstreckenflug mit Ankunft auf Praia (TAP oder RAM). Gehen Sie erst auf dem Wochenmarkt, um Proviant einkaufen und bummeln Sie danach über und durch den afrikanischen Allzweckmarkt Sucupira. Damit kommen die Urlauber gefühlsmäßig schon einmal sehr gut an und tauchen in die Atmosphäre der Kapverden ein. Entscheidend ist, die Reise unvoreingenommen und mit dem Wunsch, während dieser Zeit mehr über das Land und seine Menschen zu erfahren, zu beginnen. Auf alle Fälle sollten man sich für alles Zeit lassen und besser Fragen stellen, als gleich für alles eine Antwort haben zu wollen.

Weitere Infos: reisetraeume.de

 

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